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Handyverbot an Schulen – Zwischen pädagogischem Anspruch und digitaler Lebenswelt

Die Debatte um ein Handyverbot an Schulen ist aktueller denn je. Während Länder wie Dänemark, Finnland oder die Niederlande bereits gesetzliche Regelungen zur privaten Handynutzung an Schulen erlassen haben, gibt es in Deutschland unterschiedliche Meinungen über eine mögliche Beschränkung oder Verbannung digitaler Endgeräte auf dem Schulgelände. So hat Bayern als erstes Bundesland bereits eine gesetzliche Regelung für die Handynutzung an Schulen entwickelt und auch Hessen hat gerade einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der die Handynutzung an Schulen ab dem Schuljahr 2025/2026 flächendeckend verbietet. In Schleswig-Holstein sollen Handys ab dem neuen Schuljahr bis zum 9. Schuljahr verboten werden. Der deutsche Lehrerverband sowie z.B. die hessische Landesschülerinnen- und Schülervertretung hingegen halten ein Verbot für "nicht zeitgemäß und kontraproduktiv".

Auslöser der Diskussion sind vor allem besorgniserregende Befunde über das Ausmaß der privaten Smartphone-Nutzung von Kindern und Jugendlichen und deren potenzielle Auswirkungen auf Konzentrationsfähigkeit, schulische Leistungen und psychisches Wohlbefinden.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, inwiefern digitale Medien – bewusst und didaktisch sinnvoll eingesetzt – unverzichtbarer Bestandteil eines modernen Unterrichts sind. Vor diesem Spannungsfeld zwischen pädagogischem Anspruch und digitaler Lebenswelt beleuchtet dieser Beitrag zentrale Ergebnisse nationaler und internationaler Studien zur Handynutzung an Schulen und diskutiert deren Implikationen für schulische Regelwerke und pädagogische Konzepte.

(c) PEXELS, Photo By: Kaboompics.com

Die digitale Lebenswelt der Jugendlichen

Zahlen aus aktuellen Erhebungen verdeutlichen eindrucksvoll, wie sehr digitale Endgeräte den Alltag von Jugendlichen durchdringen. Laut der Postbank Jugend-Digitalstudie (2023) verbringen Jugendliche in Deutschland durchschnittlich 36,9 Stunden pro Woche am Smartphone – mehr als fünf Stunden täglich. Auch die PISA-Studie 2022 liefert relevante Daten zur Handynutzung an deutschen Schulen. Sie zeigt ein heterogenes Bild: Während 40% der 15-Jährigen angeben, ihr Handy in der Schule überhaupt nicht zu nutzen, verwenden es 14 % täglich mehr als zwei Stunden.

Tägliche Nutzung digitaler Geräte in der Schule zum Zeitvertreib: 14 % Mehr als 2 Stunden; 12 % 1 bis 2 Stunden; 35 % Bis zu einer Stunde; 40 % Gar nicht
Quelle PISA 2022; Eigene Darstellung

Interessant ist dabei der Zusammenhang zwischen Handynutzung und Leistungsniveau: Jugendliche, die im Unterricht Benachrichtigungen konsequent deaktivieren, erzielen durchschnittlich 19 PISA-Punkte mehr als der Rest – ein Unterschied, der etwa einem halben Schuljahr Lernfortschritt entspricht. Die DAK-Studie (2024) klassifiziert 24,5 % der 10- bis 17-Jährigen als riskante Social-Media-Nutzerinnen und -Nutzer mit gesundheitlichen Gefährdungen. Ferner erhalten die Hälfte der 11- bis 17-Jährigen täglich über 237 Benachrichtigungen, wovon ein erheblicher Anteil während der Schulzeit eingeht (Common Sense Media, 2023). Diese Zahlen illustrieren eindrucksvoll den digitalen Dauerkonsum junger Menschen und erklären den Wunsch vieler Schulen und politischer Akteure, dieser Entwicklung durch ein generelles Handyverbot entgegenzuwirken.

Forschungsergebnisse zu den Auswirkungen eines Handyverbots

Bereits 2016 wies eine englische Studie darauf hin, dass Schulen mit Handyverboten signifikante Verbesserungen der Testergebnisse verzeichneten. Besonders profitierten dabei leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler – der Zugewinn entsprach einer zusätzlichen Unterrichtsstunde pro Woche (Beland & Murphy 2016). Doch dieses Ergebnis ist differenziert zu betrachten.

Denn eine schwedische Replikationsstudie (2019) konnte mit aktuelleren Daten keinen entsprechenden Effekt feststellen. In hoch digitalisierten Unterrichtskontexten, wie sie in Schweden seit Jahren etabliert sind, zeigen sich Handyverbote offenbar als weniger wirksam, da digitale Medien ohnehin ein integrativer Bestandteil der Lernumgebung sind. Ein weiteres zentrales Ergebnis der PISA-Studie von 2022 betrifft den psychischen Druck: Jeder vierte Jugendliche verspürt während des Unterrichts das Bedürfnis, auf eingehende Nachrichten zu reagieren, bei Mädchen sind es sogar 40 %. Diese ständige Erreichbarkeit bindet kognitive Ressourcen und beeinträchtigt die Konzentrationsfähigkeit (Ward et al., 2017).

Ein umfassender Überblick über die internationale Studienlage liefert das Scoping-Review von Campbell et al. (2024). Sie fasst Ergebnisse aus 22 Studien in 12 Ländern zusammen und kommt zu dem Schluss, dass Handyverbote in bestimmten Kontexten positive Effekte erzielen können – etwa bei Schülerinnen und Schülern aus sozioökonomisch benachteiligten Milieus oder hinsichtlich einer Reduktion von Cybermobbing unter älteren Jugendlichen. Gleichwohl verweist das Review darauf, dass zahlreiche Untersuchungen keine signifikanten Zusammenhänge zwischen Handyverboten und schulischen Leistungen oder psychischem Wohlbefinden aufzeigen. Die Autorinnen und Autoren des Reviews plädieren daher für eine differenzierte, kontextabhängige Betrachtung. Entscheidend sei weniger das „Ob“ eines Verbots, sondern das „Wie“ seiner Gestaltung und Umsetzung. Die digitale Bildungsexpertin Prof. Katharina Scheiter (Universität Potsdam) kritisiert die Vermischung von zwei Ebenen: der privaten Handynutzung und dem pädagogisch begründeten Einsatz digitaler Medien. Entscheidend sei, ob digitale Endgeräte klar geregelt und didaktisch sinnvoll eingesetzt werden – nicht deren pauschales Verbot. Scheiter plädiert für einen kompetenzorientierten Ansatz, bei dem Schülerinnen und Schüler lernen, ihre Mediennutzung zu reflektieren und eigenverantwortlich zu gestalten. Begleitende Unterrichtskonzepte und Klassenvereinbarungen können hierbei wichtige Steuerungsinstrumente sein.

Fazit und Ausblick

Die vorliegenden Studien verdeutlichen: Ein pauschales Handyverbot mag in bestimmten schulischen Kontexten kurzfristige Entlastung schaffen, löst aber weder das Grundproblem der digitalen Dauerpräsenz noch trägt es substanziell zur Förderung von Medienkompetenz bei. Langfristig erfolgversprechender erscheinen daher pädagogische Konzepte, die die private Handynutzung im Unterricht begrenzen, digitale Endgeräte aber als didaktisches Werkzeug gezielt integrieren und mit Regeln zur verantwortungsvollen Nutzung verbinden. Entscheidend ist es, junge Menschen für einen reflektierten und maßvollen Umgang mit digitalen Medien zu sensibilisieren und ihnen entsprechende Kompetenzen zu vermitteln – eine Herausforderung, die Schule, Elternhaus und Gesellschaft gleichermaßen fordert.

Ăśberblick ĂĽber die Regelungen zur Handynutzung an Schulen nach Bundesland (Stand: 26. Juni 2025)

Bundesland Regelung
Baden-Württemberg Kein generelles Verbot, aber geplante Gesetzesänderung, um restriktive Handyregeln an Schulen zu ermöglichen.
Bayern Erstes Bundesland mit gesetzlich geregeltem Handyverbot an Schulen. Nutzung im Unterricht nur mit ausdrĂĽcklicher Genehmigung.
Berlin Lehnt ein generelles Handyverbot ab. Schulen regeln eigenverantwortlich.
Brandenburg Keine landesweite Regelung, Entscheidung liegt bei den Schulen.
Bremen Kein Bedarf an gesetzlichem Verbot, Nutzung schuleigener iPads im Unterricht.
Hamburg Keine einheitliche landesweite Regelung, Schulen entscheiden individuell.
Hessen Gesetzesentwurf ab Schuljahr 2025/26 mit einem flächendeckenden Verbot der privaten Handynutzung an Schulen mit Ausnahmen für Unterricht und Notfälle verabschiedet.
Mecklenburg-Vorpommern Keine landesweite Regelung, Entscheidung liegt bei den Schulen.
Niedersachsen Keine gesetzliche Regelung, Politik setzt auf schulautonome Lösungen.
Nordrhein-Westfalen Diskussion ĂĽber ein Handyverbot nach hessischem Vorbild, bislang keine einheitliche Regelung.
Rheinland-Pfalz Keine landesweite Regelung, Schulen können eigene Handyregeln festlegen.
Saarland Keine landesweite Regelung, Entscheidung liegt bei den Schulen.
Sachsen Kein generelles Verbot, Schulen legen eigenständig Regeln fest.
Sachsen-Anhalt Keine landesweite Regelung, Schulen entscheiden eigenverantwortlich.
Schleswig-Holstein Die private Handynutzung wird fĂĽr Jugendliche an Schleswig-Holsteins Schulen ab dem Schuljahr 2025/26 bis einschlieĂźlich Klasse 9 verboten.
ThĂĽringen Keine landesweite Regelung, eigenverantwortliche Regelungen der Schulen.

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